— — — die presse
 
dieter in ...

blacksheep.ch (ganzer Text)

zitat: Nicht viele Bands stehen auf solch festen Wurzeln. Aber es gibt sie, und sie sorgen fernab aller Charts dafür, dass sich unsere Musik- und Hörkultur nicht einfach auf die kommerziellen Charts reduziert. Als Garant für das echte, unverfälschte Tonerlebnis; direkt und ohne PR-Kampagne, von Herz zu Herz.

 

Ueli Wild in der Mittelland-Zeitung
Philipp Weber "Lenzburger Bezirksanzeiger"
Fabienne Krauer im "Wohler Anzeiger" / "Bremgarter Bezirksanzeiger"

(esw) in der "Aargauer Zeitung"
4.9.2003 Bettina Stähli in der "Aarauer Zeitung"
Simon Gautschy in der AZ / "Regionalzeitung Wynental-Suhrental-Zofingen"
 
dieter in ...
Jan Peters, Kaiseraugst

Wenn die Aargauer Zeitung am 4. September 2003 über «rockin’ chair’s» CD «have a seat» schreibt, dass hier die Post abgehe, dann ist dem zu widersprechen – denke ich an das etwas durchzogene Image, dass die PTT in der Öffentlichkeit geniessen. Bei «rocking chair» gibt’s tatsächlich «value for money». Besonders in Hinblick auf das erste Stück «The night train» würde ich, PTT-kontrastierend, meinen: Hier donnert der Rio Grande del Norte-Express durch die Nacht, dass die Funken nur so stieben, und der unerbittliche Drive, den Drummer Res Schmocker konsequent durchzieht, lässt das rot-silbrig zischend-rasende Getümmel von Gestänge und Räderwerk unterscheiden, das die Brachialgewalt der Dampfmaschine den Schienen aufzwingt und für mächtigen Vortrieb sorgt. Es muss eine rauchende Lokomotive sein, wie Oliver Martins Stimme suggeriert. Chaplins Bilder der «Modern Times» finden ihr musikalisches Äquivalent, während der unaufhaltsame Zug über die Weichen rattert. Das Ziel bleibt unklar, wichtiger als das «Hin zu etwas» scheint das «Fort von etwas». Die Bremer Stadtmusikanten on tour. Ein eidgenössisches Jugend-Syndrom. Hier ist alles so furchtbar eng(stirnig)? Eben: «Stirn» ist sehr präzise und zeigt den Weg – jede(r) hat doch eine eigene Stirn bekommen, um sie sich genau so weit zu machen, wie es ihr oder ihm beliebt!

Um mit dem Fazit von Rockin’ Chairs 1. CD zu beginnen: Diese Mischung überzeugt und überragt als eigenständige Produktion wie ein Monolith den faden Einheitsbrei des main stream, mit dem z.B. DRS 3 nach wie vor die eidgenössische Landschaft betröpfelt, gnadenlos monotonisiert durch einen nervtötend jingelnd hirnwaschenden Sprecher, dessen phonetische Alpin-Darbietungen einem Viehauftrieb alle Ehre machen würden. Immerhin. Vielleicht gibt’s dadurch wenigstens mehr Milch, die ja gesund sein soll. Ich trinke keine.

«rockin’ chair» dagegen machen keine «Mußick» wie der seichte Kommerzrundfunk, covern auch nicht ohne Sinn und Verstand andere, sondern zeigen Anklänge an Vorbilder dort, wo es der eigenständigen Überzeugung von Rock adäquat ist; insofern sind die vielerorts strapazierten Vergleiche mit «Deep Purple», «Jethro Tull» etc. zugleich richtig und zugleich falsch. Phänotypisch richtig und genotypisch falsch.

«Humanity’s lost» kann als geradezu paradigmatisch für diese Verfahrensweise gelten: Frontman Oliver Martins Atemlosigkeit bringt die Endzeit in Echtzeit rüber, Jethro Tulls unüberhörbarer «Locomotive Breath» im Nacken hetzt ihn ohne Erbarmen – aber nicht als eklektisches Versatzstück, sondern von «rockin’ chair» für bare Münze genommen und als ruhelos pulsierender Impetus eigenständig umgesetzt.

In «Amok» revitalisiert und interpretiert Walter Niederer «Child in time», Adrian Aernes Gitarre nimmt die getragene Melancholie auf, lässt das Aufbegehren ahnen, oszilliert zwischen diesen Polen, während Oliver Martin der Gesellschaft ihr Leben, das nicht das Leben des singenden Ritters von der traurigen Gestalt ist, um die Ohren haut, bis der «Communication breakdown» den Exitus letalis signalisiert: Outcasts zu revitalisieren ist sowieso viel zu teuer: just let him fall down!

«Tears in your eyes»: wunderschöner lyrischer Gitarrengesang im Mittelteil, die Emotionen werden da abgeholt, wo sie sitzen, im Bauch nämlich.

In «Brain» geht’s um Texas-Cowboys, die tagsüber psychopathologischen Welterlösungsträumereien nachgehen, unbrained. Leider unterstützt vom allgewaltigen Pentagon. Es ist als sehr (!!) erfreulich anzumerken, dass «rockin’ chair» nicht der naheliegenden Versuchung erliegt, Hendrix' Sternenbannerzerfetzen zu folgen oder «Machine Gun» zu kopieren; Genies sind nämlich per definitionem kopiergeschützt. Während Adrian Aernes Gitarre scheinheilig ihr «Alles halb so schlimm» singt und dem Publikum ihr einlullendes Valium verabreicht, wartet Oliver Martin bis zur allerletzten Zeile, um das Missionarische in George auf das zu reduzieren, was es ohne hübsche PR-Ornamente ist: «Oil, guns and money». That’s it! Was sollte man mehr dazu sagen?

In «Audrey» und «Life teacher» träumt sich Oliver Martin in die Kindheit zurück, wobei «Life teacher» sozusagen die Transgression der Regression darstellt: ein höchst nachdenkenswerter Ansatz, diese Umkehrung erwachsener Prioritäten in Erziehungskonstellationen.

«Night hunter»: wunderbar verhallte Exposition des Themas, kaskadenhafte Melodieelaboration, «he is lonely, lonely, lonely» – akustisch entstehen hier «Night hawks», it’s me in the bar.

«Beggar’s death»: Hi Aqualung, so you’re still alive while you’re dying? Memento mori, das letzte Hemd hat keine Taschen – wer’s glaubt, wird selig?!

Unplugged schmeicheln «Winds from the south», der Versuch, der Gewalt zu entgehen, die Kulmination im Traum der erfüllten Liebe – zugenagelt vom Marschtritt des universal soldier. Es bleibt die vage Hoffnung, die wilde Soldateska möge doch bitte in anderes Land weitermarschieren. St. Florian lässt herzlich von der Feuerfront grüssen!

In «On the run» ist ein Hamster kurz davor, sich zu Tode zu rennen, «imprisoned in his cage», bis der finale Kontrapunkt von Oliver Martin gesetzt wird: «I will escape!»

Es ist eine überaus bemerkenswerte Palette musikalischer und textlicher Qualitäten, die «rockin’ chair» mit ihrem «have a seat» vorlegen. Darf man darauf hoffen, von dieser Aargauer Formation noch mehr solch gediegener Qualitätsmöbel angeboten zu bekommen?

 

Jan Peters, Kaiseraugst
Friday, September 05, 2003 at 08:03:26